© 2012 Reiner Wandler

Jugend ohne Zukunft

Krisenland Spanien fängt gleich hinter dem Autobahnring von Madrid an. Keine 30 Minuten mit der U-Bahn und die Welt ist eine andere. In San Blas gibt es keine Geschäfte mit bunten Auslagen, keine großen PKWs. Wohnblocks aus der Nachkriegszeit, Straßenzüge mit einstöckigen, kleinen Häusern, die von den Bewohner in den 1960ern am Wochenende in Eigenarbeit errichtet wurden, bestimmen das Bild. Die Kneipen rund um die U-Bahn-Station sind ebenso leer, wie die wenigen Minisupermärkte in der Hand asiatischer Einwanderer … graue Tristesse. Das einzig bunte sind die Graffitis an den Wänden.

„Arbeit gibt es hier schon lange keine mehr“, sagt Beatriz Salmerón. Die 28 Jährige Bürokraft weiß von was sie spricht. Vor einem Jahr wurde sie entlassen. Sie hat „Dutzende, wenn nicht Hunderte“ von Bewerbung verschickt. Im Internet gesucht, Supermärkte und Büros abgeklappert, Freunde und Verwandte gefragt. „Nichts, absolut nichts. Früher wusste immer irgendwer irgendwas. Doch das funktioniert auch nicht mehr“, sagt sie. „Fast alle meine Freunde sind ohne Arbeit. Und die wenigen, die noch einen Job haben, stehen selbst auf der Kippe.“ Mittlerweile entlasse selbst das große Einkaufszentren gleich neben San Blas langgediente Mitarbeiterinnen. Die Kaufkraft geht durch die Krise zurück. Spanien steckt in der Rezession.

Salmerón ist eine von vielen. 5,3 Millionen der 23 Millionen Arbeitslose in der EU sind Spanier. Das ist eine Quote von knapp 23 Prozent. Ein Drittel davon ist jünger als 30 Jahre. Unter 25 sind 50 Prozent ohne Arbeit. Stadtteile wie San Blas übertreffen diese Quoten noch.

Salmerón ist Opfer der Sparpolitik, mit der in Spanien Zentral- und Regionalregierungen das Haushaltsdefizit in den Griff bekommen wollen. Sie arbeitete beim madrider Genossenschaftsverband. „Viele unserer Mitgliedsbetriebe waren im Sozialwesen tätig. Dann wurde gekürzt. Sie mussten schließen und die Verbandszentrale ebenfalls“, berichtet Salmerón, die als Betriebsrätin als letzte von Bord ging. Das war vor einem Jahr. „Am 15. Februar läuft das Arbeitslosengeld von 580 Euro im Monat aus. Wie es dann weitergehen soll, weiß ich nicht“ … eine trostlose Perspektive für eine 28-Jährige.

Die junge Frau lebt noch zu Hause. Doch auch ihre Mutter Milagros ist seit mehr als 18 Monaten ohne Arbeit. Sie bekommt bereits jetzt keine Stütze mehr. Der Vater ist vor Jahren verstorben „Deshalb hat meine Mutter wenigstens eine kleine Witwenrente von rund 800 Euro. Das muss dann wohl für beide reichen“, beschreibt Salmerón die familiäre Lage.

Die beiden gehören damit zu den 1,5 Millionen Haushalte in Spanien, in denen kein einziges Mitglied arbeitet. 1,6 Millionen Arbeitslose bekommen keine Unterstützung mehr. Zwar gibt es für Langzeitarbeitslose 400 Euro im Monat. „Doch da wird das Familieneinkommen aufgerechnet und die Rente meiner Mutter liegt ganz knapp über der Bemessungsgrenze“ sagt Salmerón. Das Programm läuft Ende Februar eh aus. Ob es die neue, konservative Regierung unter Mariano Rajoy verlängern wird, ist unwahrscheinlich.

Natürlich hat auch Salmerón die Nachricht gelesen, dass die EU eine Expertenkommision zur Analyse der Jugendarbeitslosigkeit nach Spanien schicken will. „Wir brauchen keine Truppe von Erleuchteten, sondern öffentliche Investitionen und feste Jobs für junge Leute“, schimpft sie. Die Ideen von Ministerpräsident Rajoy sehen ganz anders aus. Er will weiter kürzen und den Arbeitsmarkt reformieren. Minijobs mit Löhnen bis zu 400 Euro lautet sein Rezept. Dabei verdienen bereits heute die jungen Menschen, die noch Arbeit haben meist deutlich unter 1000 Euro im Monat und haben so gut wie keinen Kündigungsschutz. Deshalb stehen sie als erste auf der Straße, wenn die Wirtshaft in Schräglage gerät.

Vor einem Monat sah es fast so aus, als könnte Salmerón einen Job bekommen. „Ich stellte mich bei einer Telefonhotline vor“, berichtet sie. Nach drei Tage kostenloser Probearbeit kam dann die Absage. „Einer meiner Mitbewerber hatte ein abgeschlossenen Hochschulstudium, einen Master und er spricht drei Fremdsprachen. Auch er wurde nicht genommen.“ Salmerón schüttelt den Kopf angesichts eines anderen typisch spanischen Phänomens. 43 Prozent der jungen Spanier, die irgendwo Arbeit finden, sind völlig überqualifiziert.

Anders als 22 Prozent ihrer Altersgenossen, die weder arbeiten, noch studieren, hat Salmerón mittlerweile ihr vor Jahren abgebrochenes Journalismusstudium wieder aufgenommen, will sich in einen Englischkurs einschreiben. Zukunft? Sie sieht keine. Wer eine gute Ausbildung hat geht. „Javi ist in Belgien, Llaerima in England, Vanesa in Deutschland …“, zählt Salmerón auf. Sie möchte erst einmal bleiben. „Ich kann doch meine Mutter nicht alleine lassen“, sagt sie zum Abschied.

Beatriz Salmerón besteht darauf, die Kaffees zu bezahlen. „Ich bin zwar arbeitslos, aber das kann ich mir gerade noch leisten“, schlägt sie eine Einladung fast schon gekränkt aus.

Was bisher geschah: