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Marokkos neuer Regierungschef

„Taube oder Falke?“ – „Doctor Abdelillah und Mister Benkirane“ lauten zwei Überschriften, die sich in der marokkanischen Presse finden lassen, nachdem König Mohamed VI. am Dienstag den Generalsekretär der islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD), Abdelillah Benkirane, zum neuen Regierungschef ernannte. Ein Blick auf den Werdegang des 57-jährigen Physikers lässt beide Urteile zu.

Der Sohn einer einfachen Familie aus der Hauptstadt Rabat näherte sich in jungen Jahren zuerst der historischen Unabhängigkeitspartei Istiqlal, mit der auch sein Vater sympathisierte, machte an der Universität einen Schwenk hin zu den Sozialisten, bevor er schließlich bei der radikalen, islamistischen Bewegung Chabiba iIslamya landete. Die klandestine Gruppe machte Front gegen die Linke an den Hochschule. Dabei griff sie auch zur Gewalt. König Hassan II. – der Vater des heutigen Monarchen – und dessen allmächtiger Innenminister Driss Basri lies sie gewähren, bis sie 1975 einen Schritt zu weit gingen, und einen Gewerkschafter ermordeten.

Das Regime reagierte mit einer doppelten Strategie. Zum einen wurden mehrere Führer der Gruppe verhaftet, auch Benkirane machte zweimal mit der Polizei Bekanntschaft, zum anderen versuchte Innenminister Basri einen Teil der Radikalen ins System einzubinden. Benkirane gehörte zu denen, die sich darauf einließen. Nachdem eine Antrag auf eine eigene Parteigründung abgelehnt wurde, schloss er sich mit rund 400 „Brüdern“ Ende der 1990er Jahre der Partei eines palastnahen Politikers an, die bald zur heutigen PJD wurde. 1997 trat die Formation erstmals bei Wahlen an. Die Islamisten präsentierte sich auf Absprache mit dem Innenministerium nur in einigen Wahlkreisen. Das sollte bis 2007 so bleiben. Am vergangenen Freitag kandierten die PJD, deren Generalsekretär Benkirane seit 2008 ist, erstmals flächendeckend und wurden mit 107 von 395 Abgeordneten stärkste Partei.

Den radikaleren Islamisten im Land gilt Benkirane als Verräter, der sich an das Königshaus verkauft hat. Im Wahlkampf gab sich der Vater von sechs Kindern moderat. Er wetterte gegen die Korruption, und versprach Abhilfe bei der Arbeitslosigkeit, verschonte aber die Monarchie mit seiner Kritik. Die „Verwestlichung Marokkos“, gegen die die Benkiranes Parteipresse – um die er sich jahrelang selbst kümmerte – ansonsten schimpft, wenn homosexuelle Musiker wie Elton John oder Shakira zu Festivals eingeladen werden, oder weltliche Politiker mehr Rechte für Frauen durchs Parlament stimmen, spielte bei den Wahlkampfveranstaltungen ebenso eine untergeordnete Rolle, wie Zitate aus dem Koran.

Seine weltlichen Kritiker nehmen Benkirane den neuen Diskurs nicht ab. Sie erinnern dieser Tage immer wieder an seine zahlreichen Skandale. Eine dieser Episoden spielte sich 2001 im Parlament ab. „Geh nach Hause und zieh dich ordentlich an!“ forderte Benkirane eine westlich gekleidete Kamerafrau auf./Foto: Harrad Abdel

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