© 2011 Reiner Wandler

Ausgedreht

Eines der bekanntesten Boulevardprogramme Spaniens steht vor dem Aus. „La Noria“ – „Das Riesenrad“ – des TV-Senders Telecinco hat in nur zwei Wochen alle Anzeigenkunden verloren. Der Privatsender, der zu einem Viertel zum Medienimperium des ehemaligen italienischen Regierungschef Silvio Berlusconis gehört, war ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, nachdem am Samstag den 29. Oktober ein Interview mit der Mutter eines Jugendlichen ausgestrahlt wurde, der wegen Begünstigung eines Mordes einsitzt.

Die Mutter hatte für das Gespräch 10.000 Euro kassiert. Der Fall beschäftigt Spaniens Öffentlichkeit ganz besonders, da die Gruppe von Jugendlichen, die in die Tat 2009 verwickelt sind, sich gegenseitig decken und der Leichnam des Opfers, die ehemalige Freundin eines der Beschuldigten, bis heute nicht aufgetaucht ist.

„Entschuldigen Sie sich und versprechen Sie nie wieder Verbrecher oder Angehörige von Verbrechern ins Fernsehen einzuladen, damit sie über ihre Verbrechen sprechen“, verlangte der Blogger Pablo Herreros, kurz nach der Sendung. Der Funke sprang ins Facebook über, die Twitter-Kanäle liefen heiß. Die Anzeigenkunden kamen unter Druck. Mehr als 50 Marken, darunter Mercedes, Audi und die größte spanische Kaufhauskette El Corte Inglés zogen sich nach und nach zurück. „Wir solidarisieren uns nicht nur mit Ihren Forderungen, sondern wollen uns entschuldigen (obwohl wir von den beklagenswerten Inhalten des Programms keine Kenntnis hatten“, erklärt einer der Anzeigenkunden – der Fleischwarenhersteller Campofrío – im Facebook.

„Wir haben vielleicht hin und wieder rote Linien überschritten, aber in diesem Fall nicht“, erklärt La-Noria-Moderator Jordi González. Er sieht hinter der Internet-Kampagne konkurrierende Sender. „Die Werbung kommt zurück. Das ist alles nur eine Frage der zeit“, erklärt González, der in seinem Programm auch immer wieder Politiker zu Gast hatte, die die hohe Einschaltquote für ihre Popularität nutzen wollen. Doch Zeit wird González wohl kaum haben. Es war nicht das erste Mal, dass González in La Noria mit Interviews zu Verbrechen Quote machte, aber es war vermutlich das letzte Mal. Am morgigen Samstag soll das Programm noch einmal zu Prime Time auf Sendung gehen. Aber ohne Werbung ist es für Telecinco wohl nicht zu halten. Vor allem angesichts der sich ausbreitenden Facebook-Kampagne, die mittlerweile andere Boulevardprogramme aus dem Hause Telecinco aufs Korn nimmt.

Die Staatsanwaltschaft in Sevilla hat die interviewte Mutter vorgeladen. Er will erreichen, dass die Justiz das Honorar von Telecinco beschlagnahmt, um damit einen Teil der Kosten, die die wochenlange vergebliche Suche nach dem Leichnam der getöteten jungen Frau verursachten – insgesamt 414.000 Euro – zu begleichen. Die Beschuldigten führten die Polizei mit immer neuen Versionen über den Verbleib des Opfers auf falsche Fährten.

Was bisher geschah: