„Grausames Schauspiel“ oder „Kultur“, die Debatte um den Stierkampf beschäftigt Spanien mehr denn je. Das Verbot des Spektakels in Spaniens Nordostregion Katalonien hat eine alte Diskussion neu belebt. Im September fand in Barcelona die letzte Corrida statt. Die Matadores nahmen vor ausverkaufter Arena Abschied vom katalanischen Publikum. Es ist ein Sieg für die Tierschützer, der die Kritiker in anderen Regionen ermutigt.
Dem Verbot ging 2010 eine Anhörung im katalanischen Autonomieparlament mit anschließender Abstimmung voraus. Es war eine Lehrstunde spanischer Kultur und der Emotionen, die dann hochkochen, wenn es um die Stiere geht. Beide Seiten zogen mit schwerer Literatur bewaffnet auf das Rednerpult. Die Stierkampfgegner zitierten alte Autoren von Lope de Vega, Quevedo, Zorrilla, bis hin zu Benavente um das „brutale Fest“ zu verurteilen. Die Anhänger der Corrida beriefen sich auf Schriftstellern wie Fedérico García Lorca oder Miguel Hernández. Außerdem führten sie Musiker wie Manuel de Falla, oder Maler von Goya bis Picasso, alles glühende Verfechter des anmutenden Tötungsrituals, ins Gefecht. Für die Befürworter der Corrida kreiert der Torero „ein vergängliches Kunstwerk“, in dem er sein eigenes Leben aufs Spiel setzt. Die spanische Kulturministerium sieht es ebenso. Immer wieder werden neben Schauspielern und bildenden Künstlern auch Stierkämpfer mit dem Orden der Schönen Künste ausgezeichnet.
„Im Grunde hat die Entscheidung nichts mit dem Tierschutz zu tun“, ist sich Albert Boadella, bekannter Theaterdirektor aus Barcelona, sicher. Der bekennende Stierkampfanhänger sieht hinter dem Verbot in Katalonien vielmehr eine Inititive gegen „etwas, was Spanien symbolisiert“. Die katalanischen Nationalisten hätten den Stierkampf benutzt, um sich weiter vom restlichen Land zu entfernen. Dass das regionale Anti-Stierkampf-Gesetz die Spektakel ausnimmt, bei denen Stiere auf Plätzen und Straßen vom Publikum getrieben werden, gilt ihm als Beweis dafür. Die sogenannten Correbous stehen an Spaniens Mittelmeerküste für die eigene, regionale Identität. Ein Verbot würde deshalb Wählerstimmen kosten.
Die Stierkampfbefürworter schmerzt das Ende der Corridas in Katalonien ganz besonders. Denn die Monumental in Barcelona war einst neben Las Ventas in Madrid die wichtigste Arena auf der iberischen Halbinsel. Doch die Krise des Stierkampfes in Katalonien begann lange vor der Debatte im Parlament. 2007 war die Monumental kurz davor zu schließen. Das Publikum blieb seit Jahren aus. Erst als der bekannteste, aktuelle Stierkämpfer, José Tomás, sein Comeback nach längerer Auszeit in Barcelona feierte, waren die Ränge wieder voll. Auch den letzten Kampf im September bestritt der Matador aus der Region Madrid. Die Eintrittskarten erzielten auf dem Schwarzmarkt bis zu 1.500 Euro.
„Wenn die Arena immer voll gewesen wäre, hätte das Parlament vielleicht etwas mehr Feingefühl beim Thema bewiesen“, muss auch Boadella eingestehen. Im restlichen Spanien nimmt die Begeisterung für das Schauspiel, das – so einige Geschichtswissenschaftler – bis in die Zeiten des alten Kreta zurückgeht, ebenfalls ab. Eine Umfrage des us-amerikanischen Meinungsforschungsinstitutes Gallup zeigt, dass sich nur noch 26,7 Prozent der Spanier für den Stierkampf interessieren. Anfang der 70er Jahre waren es noch 55 Prozent. Der durchschnittliche Stierkampbegeisterte ist männlich und zwischen 45 und 65 Jahre alt. Die jungen Spanier halten es nicht mit der Tradition. Fanden 2007 noch 2.622 Corridas statt, waren es 2010 nur noch 1.724.
In vielen Regionen hat der Stierkampf kaum Anhänger. In Galicien und auf den Balearen finden so gut wie keine Corridas statt. Auf den Kanarischen Inseln beendete ein Tierschutzgesetz 1991 den Stierkampf, der auf den Inseln nie verwurzelt war. Heute ist das Spektakel vor allem in Andalusien, Madrid und der zentralspanischen Region Castilla- La Mancha populär.
Die beiden letzteren Regionen haben die Corridas als Antwort auf das Verbot in Katalonien gar zum „Kulturerbe“ erhoben, und folgen damit einer vergleichbaren Initiative in Frankreich im April diesen Jahres. In Südfrankreich – und dort vor allem im französischen Teil Kataloniens – ist der Stierkampf sehr populär. Was den Katalanen in Spanien als verhasstes Symbol des Zentralstaates gilt, ist für ihre Landsleute auf der anderen Seite der Grenze Symbol der eigenständigen Kultur. Die Stierkampffans aus Barcelona – ob Nationalisten oder nicht – werden künftig wohl nach Perpignan reisen müssen, oder schon bald nach Andorra. Im ebenfalls katalanischsprachigen Pyrenäenland will eine Gruppe von Unternehmern eine Arena errichten.