© 2011 Reiner Wandler

Der Sonnenkönig

Marokko läuft seinen Nachbarländern den Rang ab. Hier werden Afrikas erste solare Großkraftwerke entstehen. Der König hat seinen Segen gegeben.

Ende Mai in Marokkos Wirtschaftsmetropolo Casablanca. Wo immer Mustapha Bakkoury auf der Solar Maghreb Konferenz auftaucht, ist er sofort umringt. Der 46-jährige Wirtschaftsfachmann aus der Universitätsstadt Mohammedia steht der Marokkanischen Solarenergie-Agentur (Masen) vor. Er ist damit Herr über den ehrgeizigsten Solarplan Nordafrikas. Die Teilnehmer aus den Nachbarländern beneiden Bakkoury, Besucher aus Europa wittern das große Geschäft. Die Liste derer, die eine Privataudienz im Nebensaal erbitten, ist lang.

Alle wissen, Bakkoury hat Rückendeckung von ganz oben. Den marokkanischen Solarplan hat König Mohamed VI. im November 2009 ins Leben gerufen. Marokkos Monarch höchstpersönlich läutete vor großem Publikum – US-Außenministerin Hillary Clinton saß im Raum – die Zukunft ein. 2000 Megawatt (MW) Solarenergie-Leistung sollen bis 2020 in Marokko errichtet sein.
Zur Umsetzung des Plans wurde Masen geschaffen und ein alter Vertrauter Mohamed VI. als Präsident berufen: Bakkoury, der zuvor hohe Posten in verschiedenen staatlichen Geldinstituten inne hatte. Mit 500 Millionen Dirham (57 Millionen Euro) Eigenkapital ist die Gesellschaft ausgestattet, die zu gleichen Teilen der marokkanische Staat, der ebenfalls staatliche Monopolstromversorger ONE, der für Entwicklung zuständige Fonds Hassan II und die staatlichen Entwicklungsgesellschaft für erneuerbarer Energien (SIE) einzahlen.

Für den Solarplan muss Masen Investitionen von 70 Milliarden Dirham (rund 8 Milliarden Euro) mobilisieren. Viel Geld, das weiß auch Bakkoury. Doch es sei der einzige Weg in die Zukunft: „Unser Ziel ist es, mit sauberer Energie unabhängig von Importen zu werden“, erklärt er. Eine Million Tonnen Erdöl sollen jährlich mit Hilfe des Solarplans eingespart werden. Eine beträchtliche Menge für ein Land, das zu 95 Prozent von Energieeinfuhren in Form fossiler Brennstoffe oder Strom aus Spanien abhängig ist. Das schafft Probleme. Sie werden sich verschärfen, wenn die Preise für fossile Brennstoffe weiter steigen und Marokkos Stromverbrauch wie bislang um jährlich rund sieben Prozent wächst. Nicht nur die schnell wachsende Bevölkerung und die Hoffnung auf wirtschaftliche Konjunktur, auch der steigende Trinkwasserverbrauch treiben den Strombedarf an. Denn vielerorts ist die Entsalzung von Meerwasser die einzige Lösung.

Marokko geht es um mehr als die reine Stromproduktion. Von den Mammut-Projekten in der Wüste und einem angegliederten Forschungszentrum verspricht sich König Mohamed VI. viele qualifizierte Arbeitsplätze. Die können Marokkos Jungakademiker dringend gebrauchen.

Die ersten Projekte des Solarplans nehmen nun Form an. 200 Kilometer südöstlich von Marrakesch, in Ouarzazate, sollen Solarkraftwerke mit insgesamt 500 MW Leistung in die Wüste gesetzt werden. Es ist die sonnenreichste Gegend des nordafrikanischen Königreiches. Für den ersten Teilabschnitt mit 125 und 160 MW läuft eine Ausschreibung. Unter 19 Bewerbern wurden vier Konsortien für die Endrunde ausgewählt. Wer den Zuschlag erhält, wird bis November entschieden. Schon im Juli 2012 soll der erste Spatenstich stattfinden. „Nach 28 bis 30 Monaten Bauphase wird das Kraftwerk ans Netz gehen“, steckt Bakkoury den Zeitrahmen.

Parallel dazu starten weitere Ausschreibungen für den Strandort Ouarzazate. Die erste Ausschreibung war für Parabolrinnenkraftwerke. Die zweite Phase wird für Turmkraftwerke (Ende 2001/Anfang 2012) und die dritte dann für Photovoltaik sein. MASEN richtet sich damit eindeutig an die bei der Desertec Industrieinitaitive Dii vertretene Großindustrie der CSP-Branche. Für die zweite Phase kommt eigentlich nur ein Bauherr in Frage. Denn außer der spanischen Abengoa hat in Europa niemand Erfahrung mit Turmkraftwerken.

Unter den vier Bewerbern in der engeren Auswahl findet sich das deutsche Unternehmen Solar Millennium, das zusammen mit Orascom CI und Evonik Steag ein Projekt eingereicht hat. Solar Millennium gehört zu den Pionieren der Solarthermie, hat in Südspanien das dreistufige Parabolrinnenkraftwerk Andasol gebaut, das Solarfeld für ein Hybridkraftwerk im ägyptischen Kuraymat beigesteuert und gerade mit dem Großprojekt Blythe (242 MW) im US-Bundesstaat Kalifornien begonnen. Die drei anderen Konsortien haben ebenfalls in Spanien Erfahrung gesammelt. Der spanische Baukonzern ACS begann zusammen mit Solar Millennium, geht aber seit geraumer Zeit eigene Wege. Jetzt bewerben sich die Madrider zusammen mit dem italienischen Energieversorger Enel. Und das spanische Unternehmen Abengoa, durch seine Turmkraftwerke in Südspanien bekannt (neue energie 8/2009), hat Abeinsa CI, Mitsui und Abu Dhabi NEC mit an Bord. Das vierte Konsortium aus ACWA, Aries IS hat das spanische Ingenieurbüro TSK EE im Team.

Neben Kompetenz wie Erfahrung der Bewerber und technischen Projektdetails schaut Masen vor allem auf den Kilowattstunden-Preis (kWh), zu dem die Bewerber bereit sind das Kraftwerk zu errichten und den Strom abzugeben. „Die Investoren entscheiden, mit welcher Rendite sie zufrieden sind“, lautet Bakkourys kryptische Antwort zu den konkreten Preisvorstellungen. Ähnlich bedeckt halten sich die Bewerber von Ouarzazate. „Unser Angebot wird zur Zeit erarbeitet, schon aus Wettbewerbsgründen äußern wir uns nicht zu Details“, erklärt Solar Millennium-Sprecher Alexander Jacobsen. Und ergänzt: „Das zwischen dem, was der Solarstrom anfangs kosten wird und dem was der Endverbraucher in Marokko zahlt eine Lücke klaffen wird, lässt sich systembedingt noch nicht vermeiden.“ Marokkos Endverbraucher zahlen aktuell rund fünf Eurocent für die Kilowattstunde Strom. Solche Gestehungspreise sind laut Solar Millennium erst denkbar, wenn das Kraftwerk in 20 bis 25 Jahren voll abgeschrieben ist, da dann nur Betriebs- und Instandhaltungskosten anfallen.

Zum Vergleich: In Spanien erhalten Betreiber solarthermischer Kraftwerke je nach Marktsituation einen Tarif zwischen 26,8 Cent und 36,3 Cent/kWh. Darunter werde man in Marokko ganz sicher bleiben, erklärt der Solar-Millenium-Sprecher. Man könne die beiden Märkte wegen der unterschiedlichen Rahmenbedingungen ohnehin kaum vergleichen. Zum einen sei die Technologie bereits billiger geworden. Zum anderen gebe es in Marokko eine bessere Energieausbeute. In Ouarzazate sind laut MASEN mehr als 2500 kWh pro Quadratmeter und Jahr zu erwarten, bei mehr als 3000 Sonnenstunden. Am Standort von Andasol in Südspanien werden – so die Messungen von Solar Millenium – bei ähnlich vielen Sonnenstunden rund 2136 kWh pro Quadratmeter produziert.

Hinzu kommt die Größe des Kraftwerkes. In Spanien lassen sich wegen der Fördervorgaben nur Blocks von bis zu 50 MW realisieren. Jeder Block hat sein eigenes Turbinenhaus und seinen eigenen Wärmespeicher. Die Anlage in Marokko ist dreimal so groß. Das spart Kosten im konventionellen Teil der Anlage, wie dem Turbinenhaus und dem Wärmespeicher.
Dennoch: Es bleibt eine beträchtliche Lücke zwischen lokalen Verbraucherpreisen und realen Stromgestehungskosten. Kenner schätzen das Delta auf mindestens zehn Cent je Kilowattstunde. „Wir haben mit dem marokkanischen Stromversorger ONE einen Abnahmevertrag über 25 Jahre geschlossen“, versichert der Masen-Chef. Das gebe Planungssicherheit. Was genau in diesem Abkommen steht, behält er für sich. Doch eines ist klar: ONE kann nie und nimmer den realen Preis des Wüstenstroms an die Kunden weitergeben. Das wäre in dem armen Land sozial nicht vertretbar.

Einspeisetarife oder Sondervergütungen lehnt Bakkoury strikt ab. Er setzt auf Finanzierungshilfen von der Weltbank und deren Clean Technology Fund (CTF). Bei beiden hat Masen für die erste Phase jeweils 200 Millionen US-Dollar beantragt. Auch die KfW könnte bei der Finanzierung zur Seite stehen. Aber günstige Kredite können das Preisdelta nur geringfügig verkleinern. „Wir rechnen diese internationalen Gelder mit ein, den Rest zahlt Masen“, beendet Bakkoury das Thema Finanzen. Wer ein Prestigeprojekt des Königs betreut, kann es sich in Marokko so einfach machen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ONE in Finanzschwierigkeiten gerät und mit Geldern aus dem Staatshaushalt gestützt wird.

Falls sich nicht ein eleganter Ausweg findet, das Finanzierungsproblem zu exportieren. Für „eine Übergangsphase“ setze Masen auf den Stromexport nach Europa, erklärt Bakkoury. Anfang Juni unterzeichnete er mit der Desertec Industrieinitiative Dii ein Abkommen für ein Kooperationsprojekt. „Wir haben eine gemeinsame Vision, dass das große Potenzial der erneuerbaren Energien die Energie- und Umweltprobleme lösen kann, die auch in Europa bestehen. Daher glauben wir, dass sich nach kurzer Zeit eine Win-Win-Situation ergeben kann“, so der Masen-Chef. Masen soll Projekte entwickeln und Dii will erreichen, dass die Europäische Union die wirtschaftlichen und regulatorischen Bedingungen für den Stromimport aus Nordafrika schafft. Seit Monaten pochen deren Vertreter in Brüssel, Berlin und andernorts auf spezielle Einspeisetarife für den Wüstenstrom.
„Bald schon könnte der erste Strom aus Nordafrika nach Europa fließen“, zeigt sich Thomas Altmann begeistert. Er ist Vizepräsident und Nordafrika-Spezialist des internationalen Ingenieurbüros ILF. Das Unternehmen mit Stammsitz in München und 1600 Mitarbeitern weltweit gehört von Anfang der Dii an. Altmann berät die Dii Geschäftsführung. Marokko ist mit Spanien und damit mit Europa nur über eine 600-MW-Leitung verbunden. Und auch der Anschluss Spaniens an Frankreich ist trotz derzeitiger Ausbauarbeiten lange nicht geeignet, große Strommengen auf die Reise nach Mitteleuropa zu schicken. Das weiß Altmann: „Es geht erst einmal um den Vorführeffekt. Wir präsentieren ein Framework.“ Dies, so seine Hoffnung, wird den entscheidenden Impuls für den milliardenteuren Ausbau eines Leitungsnetzes geben, das beide Seiten des Mittelmeeres verbindet.

Im spanischen Industrieministerium findet man Dii „sehr interessant“. Aber „was nützt das schönste Auto wenn es keine Straßen gibt, auf denen man damit fahren kann?“ fragt ein Sprecher. Er hofft, dass die EU das Problem Leitungsnetz mit „aboluter Priorität behandlet“, nicht zuletzt aus eigenem Interesse. Denn Spanien ist nach wie vor eine Energieinsel. Die neue Leitung über den Südosten des Landes nach Frankreich wird frühestens 2014 fertig sein. Dann hat Spanien eine Anbindungskapazität an das europäische Netz von sechs Prozent statt bisher drei Prozent. Das ist noch immer weit weniger als die zehn Prozent, die die Europäische Union empfiehlt. Zentral gelegene Länder verfüge über weit mehr. Deutschland zählt 21 Prozent, Belgien knapp 43 Prozent.

Marokko habe die besten Voraussetzungen, „ein großer Energielieferant für Europa zu werden“, findet Altmann dennoch. Er lobt die politische Stabilität. Anders als Präsident Ben Ali in Tunesien hat Marokkos König Mohamed VI. die erste Phase der Demokratiebewegung in der arabischen Welt relativ unbeschadet überstanden. Er verspricht eine Demokratisierung von oben. Die Proteste gehen zwar weiter, aber die Demonstranten haben derzeit nicht die Kraft, dem Regime wirklich gefährlich zu werden.

Tunesien war für die Dii – trotz Regimesturz – ganz oben auf der Liste derer, die für Pilotprojekte in Frage kamen. Doch erst wenn eine Stromleitung nach Italien steht, sind Importe aus dem kleinsten nordafrikanischen Land möglich. Und Algerien zeigte sich lange zögerlich. Dabei ist das Land für Dii besonders interessant. Es verfügt nicht nur über riesige Wüstenareale mit hoher Sonneneinstrahlung, sondern dank der Einnahmen aus Erdöl und Erdgas auch über 200 Milliarden Dollar Finanzreserven. Eine Ausnahme in Zeiten der Krise. Ende Mai trat Algerien der Dii bei. Die Führung des nordafrikanischen Landes scheint zur Einsicht gekommen, dass die fossilen Ressourcen zu wertvoll sind, um sie für den eigenen Energiebedarf zu verfeuern./Zuerst erschienen: Neue Energie

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