© 2011 Reiner Wandler

Endlich Luft

 

Es ist, als wäre ein tonnenschwere Steinplatte von Spanien genommen worden. Noch vor einer Woche sprach niemand über Politik, nicht einmal die Politiker. Die beiden großen Parteien machten sich im Wahlkampf gegenseitig absurde Vorwürfe und redeten über alles, nur nicht über das, was die Menschen bewegt: Die hohe Arbeitslosigkeit, der Abbau des Sozialstaates bei gleichzeitiger Unterstützung der Banken mit Millionenbeträgen.

Der sozialistische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero ging in seinem Zynismus soweit, all diejenigen als „üble Lügner“ zu beschimpfen, die ihm Sozialkürzungen vorwarfen. Die konservative Opposition gab sich siegesgewiss. Die Kommunal- und Regionalwahlen am kommenden Sonntag seien der Anfang einer Wende. Wohin, darüber schweigt sich Spaniens Rechte aus. Dass es nicht besser wird, das weiß dennoch jeder. Noch mehr Liberalismus als Alternative zu Zapateros Neoliberalismus, ist nicht wirklich attraktiv. Doch die Spanier schienen sich damit abgefunden zu haben. Das suggerierten zumindest die Bilder glücklicher, Fähnchen schwenkender Wähler beider Seiten, die in den Nachrichten ausgestrahlt werden.

Jetzt schauen die Menschen auf ganz andere Bilder und hören ganz andere Töne. Dank der Bewegung der „Empörten“, wie sich die Jugendlichen nennen, die in dem meisten großen Städten Plätze besetzt haben, wird wieder über Politik geredet, allerdings nicht über die Politiker. Die sind in den Umfragewerten am Tiefpunkt ihrer Glaubwürdigkeit. Beide – Zapatero und der Chef der Konservativen Mariano Rajoy – liegen bei der Beliebtheitsskala, die sich des Schulnotensystems bedient, irgendwo zwischen einer 5 und einer 6.

Wer glaubt, die Versammelten mit einem Verbot durch die Wahlkommission und der Androhung eines Polizeieinsatzes einschüchtern zu können, irrt. Nach der Räumung von ein paar Hundert in Madrid Montag auf Dienstag, kamen Zehntausend. Nach dem ersten Verbot durch die regionale Wahlkommission 15.000 und am Donnerstag in Erwartung des Spruches der nationalen Wahlkommission 20.000.

Die breite Unzufriedenheit über die Art der Krisenbewältigung, die Korruption und das Wahlsystem, das die großen Parteien bevorzugt, hat endlich ein Ventil gefunden. Ohne tiefgreifende Veränderungen wird das politische System Spaniens endgültig in Misskredit geraten. Aussitzen geht dieses Mal nicht.

Was bisher geschah: