© 2011 Reiner Wandler

Ein tunesisches Mädel

Der erste Eindruck von Lina Ben Mhenni täuscht. Die junge Frau wirkt schüchtern und verletzlich. Und doch ist die 27-Jährige eine der Schlüsselfiguren der tunesischen Revolution. Unter dem Namen „A tunisian Girl“ verbreitete die Dozentin für Linguistik auf ihrem Blog Eindrücke aus den Städten, die während der Jugendrevolte von den Sicherheitskräften eingeschlossen wurden. Ihre Texte auf arabisch, englisch und französisch, sowie die Fotos und Videos von Schwerverletzten und Toten verbreiteten sich in Windeseile über Facebook und Twitter. Ausländischen Journalisten stand Ben Mhenni trotz Polizeiüberwachung am Handy Rede und Antwort. Die Empörung angesichts der blutigen Repression wuchs. Am 14. Januar blieb Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali nur noch die Flucht nach Saudi Arabien. Für ihre mutige Berichterstattung wurde Ben Mhenni jetzt mit dem Blog-Award der Deutschen Welle „The BOBs“ ausgezeichnet.

Ihre ersten Schritte im Internet unternahm Ben Mhenni 2007 während eines Studienaufenthaltes in den USA. Zuerst waren es persönliche Eindrücke, Poetisches und Gefühle aus der Neuen Welt. Zurück in Tunesien kamen kurze Text über soziale Alltagsprobleme hinzu. Das reichte: Bald schon tauchte „404 – page not found“ auf dem Bildschirm auf. Die politische Polizei Ben Alis hatte ihren Blog, wie so viele andere, sperren lassen.

Ben Mhenni begann gegen die Zensur zu schreiben. Im Mai 2010 bereitete sie mit dem Bloggerkollegen Slim Amamou – der es mittlerweile zum Staatssekretär für Jugend und Sport in der tunesischen Übergangsregierung gebracht hat – eine Demonstration für Internetfreiheit vor. Der Marsch wurde verboten, in Ben Mhennis Zimmer eingebrochen, Computer und Kamera entwendet.

Die streitbare Internautin ließ sich nicht einschüchtern. A tunisian Girl wurde immer politischer. Und mit globalvoicesonline.org fand Ben Mhenni auch eine internationale Plattform für ihre Texte.

Nach der Revolution ist Ben Mhenni immer noch dort zu finden, wo Menschen für ihre Überzeugung eintreten. Ob bei den Sit-ins vor dem Regierungspalast in Tunis, die erfolgreich eine Säuberung der Übergangsregierung von alten, regimetreuen Politikern forderten, oder bei sozialen Bewegungen in der Provinz, Ben Mhenni berichtet.

Dabei hat die junge Frau ihre poetische Ader, die sie einst als junges Mädchen zum Schreiben brachte, nie ganz aufgegeben. Am Morgen des 15. Januar, dem Tag nach dem Sturz Ben Alis, war ihr blog erstaunlich ruhig und besinnlich. „Das erste was ich sah, als ich heute aufwachte“, stand da zu lesen. Das Foto zeigt einen Pfahl auf dem eine tunesische Fahne befestigt ist, mitten im Meer.

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