Ali Lmrabet ist zurück – sehr zum Leidwesen des marokkanischen Königshauses. „Der einzige Journalist weltweit, dem untersagt wurde in seinem eigenen Land seinen Beruf auszuüben“ – so Lmrabets Vorstellung auf Facebook – gibt eine neue Publikation heraus. Demainonline.com heißt das Produkt. Es ist, wie einst seine gerichtlich verbotene Zeitschrift Demain Magazin auch, eine Mischung aus Nachricht und Satire – nur dieses Mal eben im Web. Die französische Zeitung „Le Carnard enchaîné“ stand einmal mehr Pate.
„Wir behandeln Themen, die uns am Herzen liegen und kennen dabei keine Tabus“, erklärt der 51-jährige Marokkaner aus Tetuán, der zu den Pionieren des freien Journalismus im nordafrikanischen Reich von König Mohamed VI. gehört. Ob Kritik an der Monarchie, der islamischen Religion oder der Besetzung der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara, Lmrabet ignoriert die roten Linien bewusst, das hat er oft in seiner Laufbahn bewiesen. Als erster arabischer Journalist interviewte er einen israelischen Ministerpräsidenten. Als erster marokkanischer Reporter reiste er ins algerische Tindouf, um einen Bericht über die Flüchtlinge aus der besetzten Westsahara zu schreiben, ein Interview mit dem Präsidenten der sahrauischen Exilregierung, Mohamed Abdelaziz, inklusive.
Diese Lust an der Pressefreiheit hat dem ehemaligen Diplomaten so manchen Ärger eingebracht, seit er 1998 das internationale Parket mit dem Pult des Journalisten tauschte. Er wurde Chefredakteur von Le Journal, der ältesten unabhängigen Publikation Marokkos. 2000 gründete er dann mit Demain (Morgen) und später Demain Magazine seine eigenen Blätter. Demain Magazine traute sich erstmals in Marokko an politische Satire heran. Das ging nicht lange gut. 2003 wurde die Zeitschrift geschlossen, und Lmrabet wegen verschiedener Artikel über das Königshaus zu drei Jahren Haft verurteilt. Nach einem Hungerstreik kam er wieder frei. 2005 wurde von einem marokkanischen Gericht ein zehnjähriges Berufsverbot gegen ihn verhängt. Auf dieses Urteil spielt Lmrabets Facebookeintrag an.
Das Internet soll jetzt helfen, die marokkanischen Gerichte auszutricksen. Lmrabet arbeitet vom spanischen Barcelona aus. Zwei Kollegen, deren Namen er nicht nennen will, sind in der marokkanischen Wirtschaftsmetropole Casablanca, der Server auf dem die Seite beheimatet ist, in den USA.
Demainonline hat Erfolg. „Wir bekommen Unmenge Material zugesandt, Informationen, fertige Artikel, Karikaturen“, berichtet Lmrabet. Immer wieder bricht die Seite zusammen, so hoch ist der Besucherandrang. Neben Berichten über Korruption, Menschenrechtsverletzungen und die Machenschaften des marokkanischen Königshauses sowie die Verstrickung der Islamisten in Staat und Gesellschaft, sind es die Karikaturen, die die Leser anziehen. Keiner ist vor der Spitzen Feder der Zeichner sicher. Von Marokkos König Mohamed VI., über Gaddafi bis hin zum französischen Präsidenten Sarkozy – alle werden auf die Schippe genommen.
Die beliebteste Kolumne ist das „Fast echte Interview“. „Wir legen hier bekannten Persönlichkeiten Antworten auf unsere Fragen in den Mund, von denen unsere Leser wissen, dass diese Menschen so denken“, erklärt Lmrabet, was er mit dieser Satireform bezweckt. Bisher wurde der als Demokrat geltende Cousin von Mohamed VI., Moulay Hicham, sowie der englische Prinz Charles „interviewt“.
„Wir haben Demainonline über ein Jahr lang vorbereitet, bevor wir vor einem Monat ins Netz gingen“, berichtet der streitbare Journalist. Der Zeitpunkt war zufällig und doch der beste Moment. Am 20. Februar gingen auch in Marokko erstmals in vielen Städten Jugendliche auf die Straße, um – wie ihre Altersgenossen in anderen arabischen Ländern – mehr Demokratie zu fordern. König Mohamed VI. versprach daraufhin eine Verfassungsreform. „Wir werden dies kritisch verfolgen“, bekräftigt Lmrabet, der nur wenig Hoffnung auf eine tatsächliche Öffnung hat. „Ich glaube nicht an einen Übergang zur Demokratie von oben. Wir werden all diejenigen unterstützen, die für ein modernes Marokko eintreten“, sagt er. Das Regime scheint sich dessen bewusst. Es vergeht kein Tag, an dem Lmrabet nicht irgendwelche Viren und Trojaner in seiner mail entdeckt. Hackerangriffe auf Demainonline habe es auch schon gegeben.