Tunesien hat einen neuen Premierminister. Nach dem Rücktritt des von Mohammed Ghannouchi nach tagelangen Protesten, ernannte der Übergangspräsident Fouad Mebazaa noch am Sonntag Béji Caid Essebsi zum Nachfolger. Der 84-jährige Anwalt hat einen langen politischen Werdegang vorzuweisen und gilt dennoch allgemein als „relativ unbelastet“. Ob er allerdings das Vertrauen der Opposition gewinnen kann, ist ungewiss. Kritiker bezeichnen seine Ernennung als „überstürzt“. Die Entscheidung hätte einer „Abstimmung mit allen politischen Kräften bedurft“.
Caid Essebsi ist ein enger Vertraute des ersten Präsidenten Tunesiens, Habib Bourguiba. Er gilt als Liberaler sowie als Mann für schwierige Situationen. In seine Zeit als Minister im Ministerpräsidentenamt und später als Aussenminister, in den Jahren bevor Bourguiba von Ben Ali gestürzt wurde, bewältigte er zwei schwere Krisen. 1982 nahm Tunesien die PLO-Kämpfer auf, die nach langem Krieg aus Beirut vertreiben worden waren. PLO-Chef Yassir Arafat richtete sein Hauptquartier im nordafrikanischen Land ein. 1985 wurde das Gebäude in einem Vorort der Hauptstadt Tunis von der israelischen Luftwaffe bombardiert.
Nach dem Machtwechsel am 7. November 1987 schickte Ben Ali den Bourguiba-Getreuen als Botschafter nach Bonn. Erst 1990 kehrte er für ein Jahr als Parlamentspräsident in die nationale Politik zurück. 1994 zog er sich endgültig zurück. Die Jugend überzeugt Caid Essebsi nicht. Er war noch nicht einmal vereidigt, da liefen Twitter und Facebook heiß: „Ein 84-Jähriger für die Revolution der Jugend?“ war zu lesen.
Da der Anwalt seit 1994 keinerlei politischen Ämter mehr inne hatte, gilt er den meisten jedoch als „sauber“. Nur wenige erinnern sich an Essebsi als Sicherheitschef und Innenminister unter Bourguiba. In seine Amtszeit fällt der gescheiterte Putschversuch im Dezember 1962. 26 Militärs und Zivilisten wurden damals zu langen Haftstrafen verurteilt.
Ali Ben Salem ist einer derjenigen, die für den gescheiterten Staatstreich bezahlten. „Ich glaube nicht, dass der neue Ministerpräsident in der Lage ist, Tunesien in dieser schwierigen Situation zu führen“, erklärt der 78-jährige Menschenrechtler aus Bizerte, 70 Kilometer nördlich von Tunis. „Caid Essebsi ist ein Mann des alten Apparates. Die Proteste werden weitergehen, bis wir eine wirklich neue Regierung haben“, prophezeit er am Telefon.
Die mehrere Hundert Demonstranten, die seit Sonntag vor einer Woche Tag und Nacht ein Sit-in auf dem Platz vor dem Regierungssitz auf der Kasbah in Tunis abhalten, sehen dies genauso. „Wir werden bis zur Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung bleiben“, kündigte ein Sprecher an.
In Stadtzentrum von Tunis, in dem es nach der gewaltsamen Auflösung einer Großdemonstration für eine verfassungsgebende Versammlung und gegen Ghannouchi, der bereits unter dem gestürzten Diktator Ben Ali über 11 Jahre als Premier gedient hatte, zu heftigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten kam, herrschte am Montag gespannte Ruhe. Bei den Straßenkämpfe verloren mindestens fünf Menschen ihr Leben.
Der Rat zum Schutz der Revolution, dem 28 Parteien und Gruppierungen angehören, schließt sich der Forderung nach einer verfassungsgebenden Versammlung an. Außerdem verlangen er „einen Premierminister, der das Ergebnis eines Konsenses ist“, so der Vorsitzende der tunesischen Menschenrechtsliga, Mokhtar Trifi. „Eine Regierung des Volkes muss die aktuelle Regierung ersetzen“, erklärt auch die islamistische Partei Ennahda.
Maya Jribi, Generalsekretärin der Demokratisch Fortschrittliche Partei (PDP), die mit einem Minister in der Übergangsregierung vertreten ist, mahnt zur Besinnung. Sie hofft, „dass die Ernennung von Caid Essebsi dem Prozess, der Tunesien zu freien Wahlen führen soll, ein zweites Leben einhaucht“, erklärte sie. Die Regierung kündigte bereits vor dem Rücktritt Ghannouchis Wahlen bis spätestens Mitte Juli an, ohne allerdings zu erklären, ob es sich dabei um einen Urnengang für einen neuen Staatschef oder für eine verfassungsgebende Versammlung handeln wird.
Caid Essebsi selbst wird immer wieder mit einem Satz zitiert: „Die Demokratie hat zwei Feinde. Die Diktatur und diejenigen, die alles wollen, und das sofort.“/Foto: Regierung Tunesien