© 2011 Reiner Wandler

Eine tunesische Karriere

Tunesien braucht kein Wikileaks. Tunesien hat Slim Amamou. Der Blogger und Internetaktivist sitzt als Staatssekretär für Jugend und Sport in der Übergangsregierung unter dem alten und neuen Ministerpräsidenten Mohammed Ghannouchi, und er macht auf den Kabinettssitzungen, das was er am besten kann: Er twittert – live von seinem Smartphone.

Der junge Informatiker ist unter dem Namen Slim404 landesweit bekannt. Die Zahl im Namen ist eine Anspielung auf die Nachricht „404 not found“, die immer dann auftauchte, wenn die Tunesier eine oppositionelle WebSeite oder einen unliebsamen Blog aufriefen. „Das tut gut, den Justizminister zu hören, wie er einen Haftbefehl verließt, der mit dem Namen Ben Ali anfängt“, meldete sich Slim404 von der ersten Kabinettssitzung Montag vor eine Woche.

Amamou verbrachte die letzte Tage unter dem gestürzten Diktator Zine El Abidine Ben Ali in Haft. Ihm wurde vorgeworfen hinter den Cyberangriffen zu stehen, die während der Jugendrevolte immer wieder die Webseiten der Regierung lahmlegten. Am Vorabend des Rücktritts von Ben Ali wurde er schließlich auf freien Fuß gesetzt, als der Präsident verzweifelt versuchte, mit Demokratieversprechungen seine Haut zu retten. Es war zu spät.

Über sein reelles Leben gibt Slim404 wenig bekannt. In den Kurzbios auf Blogs, bei Facebook oder bei Twitter redet er weder über sein Alter, noch über seinen Familienstand. Er unterhalte einen kleinen Informatikbetrieb und gehöre der tunesischen Piratenpartei an, ist alles was zu lesen ist. Nur einmal trat er ins reelle Leben. Im Mai 2010 meldete er mit zwei weiteren Bloggerkollegen eine Demonstration gegen die Zensur in Tunis an. Der Marsch wurde verboten, Slim Amamou abgeführt.

Die Bloggerszene, die mit ihren Beiträgen und Informationen nicht unwesentlich zur tunesischen Revolution beigetragen haben, reagiert gemischt aus Amamous Ernennung. Die einen sehen ihn als ihr Sprachrohr und Informationsquelle in der neuen Regierung, die andere fordern ihn zum Rücktritt aus der Regierung auf. Zu viele alte Gesichter aus der ehemaligen Staatspartei säßen am Kabinettstisch, meinen sie. „Ich werde zurücktreten, wenn ich das für mich entscheide“ antwortet Slim404 und nimmt seine Arbeit auf.

Er kümmert sich um die völlige Eliminierung der Internetzensur und sucht online „Ökoaktivisten, die Tunesien bei einer Klimakonferenz vertreten“ oder gibt bekannt, dass das Ministerium für Jugend und Sport 20 Prozent des Budgets an schwarze Kassen von Ben Ali überwiesen hat. Und er twittert, wenn ihn einer der älteren Minister auf die fehlende Krawatte anspricht, und teilt der Welt mit, dass er im neuen Büro als erstes Amtshandlung Linux installiere.

Was bisher geschah: