© 2009 Reiner Wandler

Sonne, Strand und Krise


„Buenas Noches“, hallt es den wenigen Gästen im Ballsaal des Hotels Prince Park im spanischen Benidorm zum Abschied hinterher. Das Gesangsduo hat zusammengepackt, aus den Lautsprechern dudelt die holländische Version des Schlagers „Schmidtchen Schleicher“. Die Gäste schauen etwas irritiert. Es sind Spanier, die dank unschlagbar billiger Last-Minute-Angebote in das Hotel am Mittelmeer gekommen sind, das sonst fast ausschließlich von Holländern gebucht wird. Die Krise hat das Publikum geändert, das Abendprogramm nicht.

Während die meisten Orte am Mittelmeer diesen Sommer zwischen 10 und 15 Prozent weniger Gäste als im Vorjahr verzeichnen, waren die 40.000 Betten in Benidorm zu rund 91 Prozent belegt. Zwar blieben auch hier die ausländischen Urlauber aus. Alleine aus Großbritannien, dem Hauptmarkt der Mittelmeerstadt, kamen diesen Sommer nur noch 27 Prozent der Urlauber statt bisher über 40 Prozent. Eine groß angelegten Werbekampagne und eine agressive Preispolitik zog einheimische Sonnenhungrige als Ersatz an. „Das Hotelgewerbe hat dadurch 40-50 Millionen weniger eingenommen als in einem normalen Jahr“, gibt Nuria Montes, die Sprecherin des Hotelverbandes von Benidorm Hosbec, unumwunden zu.

Benidorm funktioniert seit den 60er Jahren das ganze Jahr über. Nach Madrid und Barcelona ist der Badeort mit 11 Millionen Übernachtungen pro Jahr das drittgrößte Reiseziel auf der iberischen Halbinsel. „In ein bis zwei Jahren ist die Krise vorbei“, ist sich Montes sicher. Und mit den Billigtarifen werden die Hotels die Zeit überbrücken, hofft die Hosbec-Sprecherin. Für die Wintersaison wird es neue Angebote geben. So manches Hotel verkauft den großen Reiseveranstalter Übernachtung mit Vollpension für 16 bis 18 Euro.

Weitaus pessimistischer ist das Gaststättengewerbe. Carlos Surián hat ein Luxusrestaurant in einem Dorf unmittelbar bei Benidorm. „Dort spüre ich die Krise kaum. Mein Umsatz ist gerade einmal sechs Prozent zurückgegangen“, sagt er. Wer Geld habe, der habe es meist auch jetzt noch, trotz Krise. Doch in seiner Funktion als Vorsitzender der Gaststättengenossenschaft COBRECA, hat er die Hand am Puls der Zeit. COBRECA ist ein Zusammenschluss von 180 Unternehmen des Gaststättengewerbes. Die Genossenschaft kauft für alle zusammen ein, und handelt so bessere Bedingungen mit den Lieferanten aus. Je nach Produkt bestellen die Kneipen und Restaurants 20 bis 30 Prozent weniger als im Vorjahr. „Und da war es schon weniger als zu den Spitzenzeiten vor 2007“, erklärt Surián. „Einige unserer Mitglieder haben bereits geschlossen, andere stehen kurz davor.“

„Die einheimischen Sonderangebotstouristen ersetzen die ausländischen Urlauber nicht“, sagt der COBRECA-Sprecher. Sie hätten nur wenig Geld um auszugehen. Vor allem das Abendessen und das Bier danach fiele dem Sparzwang zum Opfer.

Surián spricht von zwei Krisen, die sich überlagern. Die Spanier seien seit ein paar Jahren chronisch schlecht bei Kasse. Das liege an der Bauspekulation und den daraus folgenden hohen Wohnungspreisen, die viele tief in die Schulden getrieben haben. Jetzt wo die Bauwirtschaft zusammengebrochen ist, schnellt die Arbeitslosigkeit auf 20 Prozent hoch. Und nun bleiben auch noch die Engländer und andere Europäer aus. Die internationale Finanzkrise hat den Kurs des Pfund in den Keller sinken lassen. Die Arbeitslosigkeit überall in Europa tut ein Übriges.

Javier Abinzano kann den Einbruch in der Gastronomie bestätigen. Der Koch kam vor 22 Jahren aus Nordspanien nach Benidorm und besitzt mittlerweile neun Kneipen und ein kleines Hotel. Vor seinem Aushängeschild, dem Restaurant Tamboril an der Uferpromenade, standen die Gäste vor zwei Jahren noch Schlange. Jetzt sind überall Tische frei. Selbst seine treuesten Kunden, die baskischen Rentner, die an ihrem Alterswohnsitz Benidorm heimische Gerichte suchen, kommen weniger. Die Krise macht allen Angst, auch denen mit einem staatlich gesicherten, festen monatlichen Einkommen.

„Insgesamt verzeichnen meine Unternehmen 15 Prozent weniger Umsatz als im Vorjahr“, erklärt Abinzano. Das Tamboril hat dabei den größten Anteil. Der Umsatz in seinen Bars mit den typischen Tapas und Raciones sei weniger zurückgegangen. „Die Leute suchen billigere Alternativen, wenn sie ausgehen“, sagt Abinzano, der rund 60 Personen beschäftigt. „Dieses Jahr haben wir weniger Saisonkräfte eingestellt, als sonst“, berichtet er. Die Belegschaft sei um zehn Prozent zurückgegangen. Ein spanienweiter Trend: Diesen Sommer wurden nach Angaben der Gewerkschaften 70.000 Saisonkräfte weniger eingestellt als sonst. Mittlerweile sind 350.000 Beschäftigte aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe arbeitslos gemeldet.

Wer durch Benidorm spaziert, der kann die Krise spüren. Die Strände sind voll, die Kneipen leer. Überall hängen Angebotsschilder. „Happy Hour: 2 Pints – 2 Euro“- „Gegen die Krise: 1 Kaffee – 70 Cent“ – „Krisenpreise: Alle Kleidungsstücke 3 Euro“ steht da zu lesen. Es hilft alles nichts. Kellner und Verkäuferinnen stehen sich die Füße platt. Auch das Nachtleben ist alles andere als rauschend. Live Musik spielt vor halbleerem Haus. Und die Fußball-Übertragungen, die sonst die Pubs bis auf den letzten Platz füllen, ziehen nur noch wenig Kundschaft an.

„Wir haben ein Drittel weniger Besucher“, erklärt Pedro Sánchez, der seit 30 Jahren die Pianobar Malibu im „Barrio Guirri“ – dem Viertel der britischen Touristen – unterhält. „Und wer noch kommt, trinkt keine vier bis fünf Pints mehr, sondern eine oder zwei“, stellt Sánchez fest. Die spanischen Urlauber, die die Hotels füllen, verirren sich nur selten in seine Bar, die ganz auf den britischen Geschmack zugeschnitten ist. „Zudem bieten immer mehr Hotels ‚All-Inclusiv-Pakete‘ an“, beschwert sich der Barbesitzer. Für 12 bis 15 Euro Aufpreis am Tag können die Urlauber dann saufen bis zum Abwinken. Ein starkes Argument, um nicht auszugehen. Sánchez verzeichnet 40 Prozent weniger Einnahmen. „Das Malibu ist ein Familienunternehmen, deshalb halten wir durch“, sagt er.

So mancher hat bereits das Handtuch geschmissen. „Immer öfter ruft bei mir jemand an, um sich zu verabschieden“, berichtet Rafael Navarro. Der Vorsitzende des Verbandes für Nachtlokale, Ociobal, ist Besitzer von drei Pubs und einer Disco. Er ist seit 40 Jahren im Geschäft und kann sich dennoch an keine so schwere Krise erinnern. Insgesamt sei der Umsatz des Sektors um 20 Prozent gegenüber 2008 zurückgegangen. Und 2008 lag bereits 20 Prozent hinter 2007.

Navarro ist auf die Sonderangebotspolitik der Hotels nicht gut zu sprechen. „Die sinkenden Preise der Hotels lässt auch das Niveau der Kunden sinken“, ist er sich sicher. Ein Teufelskreis. „Die niedrigen Tarife sind nur zu halten, wenn auch Leistung und Qualität zurückgeht“, beschwert sich Navarro. Und das wiederum würde die klassischen Kunden von Benidorm, die noch Geld haben, vertreiben. „Manchmal ist es besser, schlechte Zeiten mit weniger Buchungen zu überstehen, als den Ruf einer ganzen Stadt aufs Spiel zu setzten“, warnt er.

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