© 2009 Reiner Wandler

Mit Skiern auf das Dach der Pyrenäen

Es sind die letzten Schritte auf den Gipfel, die den Aneto so berühmt machen. „El Paso de Mahoma“ – „Der Übergang Mohameds“ – heißt der ausgesetzte Blockgrat zwischen Vor- und Hauptgipfel. Er ist kaum breiter als einen Meter und etwa 30 Meter lang. Die Bergsteiger hangeln sich hinüber. Rechts und links geht es 300 Meter in die Tiefe. Doch es ist leichter als es sich anhört. Denn die Felsblocks bieten Halt und gute Tritte selbst mit dicken Handschuhen und den schweren Skistiefeln – wenn denn Kopf und Magen mitspielen.

Auf der anderen Seite angekommen machen wir stolz das Gipfelfoto vor dem überdimensionalen Aluminiumkreuz. 3404 Meter über dem Meer. Wir sind am höchsten Punkt der Pyrenäen, dem Grenzgebirge zwischen Frankreich und Spanien angekommen. Auf dem Rückweg über den Blockgrat kämpfen wir mit dem Gegenverkehr. Der Aneto ist beliebt. Ende Mai kommen die Skitourengeher in Scharen herauf, um die Saison mit einer der längsten Touren in den Pyrenäen ausklingen zu lassen.

Der Aufstieg begann bereits am Vorabend. In wenig etwas mehr als einer Stunde erreichen wir vom Parkplatz La Besurta (1900m) am Ende des Tales von Benasque, dem spanischen Chamonix, die Hütte La Renclusa (2149m) des Alpenvereins der Region Aragón. Trotz eines erst vor wenigen Jahren fertiggestellten Ausbaus ist die Hütte immer noch zu eng für den Ansturm auf das Wahrzeichen der Pyrenäen. Vor der Tür stapeln sich die Skier, drinnen herrscht ein Chaos aus Skischuhen, Rücksäcken und Eispickeln. Alle wollen zum Aneto. Wer nicht mit den Brettern aufsteigt, versucht sich mit Steigeisen auf einer der unzähligen Wege durch die Fels- und Gletscherlandschaft.


Kurz vor Sonnenaufgang geht es los. Die lange Lichterkette der Stirnlampen zieht sich den steilen Hang hinauf. Etwas mehr als zwei Stunden geht es in großzügigen Kurven auf knapp unter 3000 Meter. Dort erwartet uns das Portillón Superior, ein Übergang durch eine Felsrinne hinunter zum größten Gletscher der Pyrenäen. Er erstreckt sich über die gesamte Nordseite des Anetos. Ohne viel an Höhe zu gewinnen queren wir in einer Stunde zum Gipfelaufbau. Uns erwartet ein letzter, anstrengender Aufstieg von rund 250 Metern. Kurz vor dem Vorgipfel ziehen wir die Skier aus. Es wird zu steil und zu eisig. Mit Steigeisen und Pickel erreichen wir den „Paso de Mahoma“. Einmal tief durchatmen und dann geht es entschlossen über den 30 Meter langen Felsgrat auf das Dach der Pyrenäen.

Der Ausblick entlohnt für die Mühen der Tour mit einem der größten Höhenunterschiede der Pyrenäen. Soweit das Auge reicht, bieten sich uns nichts als verschneite Gipfel. Auf der einen Seite erstreckt sich Frankreich, auf der anderen Spanien. Posets, Maladeta, Vignemal, Monte Perdido … all die großen Massive der Pyrenäen sind von hier oben auszumachen.

Der Aneto zog von jeher die Bergsteiger an. 1842 erreichten die Erstbesteiger im Sommer den Gipfel. 1903 folgte die Erstbesteigung mit Skiern. Die Pyrenäen sind für Spanier und Südfranzosen das was für die Zentraleuropäer die Alpen sind. Keine bergsteigerische Disziplin, die hier nicht möglich wäre. Und das Naturschutzgebiet rund um Benasque und Aneto ist das Herzstück dieses Gebirges.

Zurück auf dem Vorgipfel ist der Rest Genuss. Wir schnallen uns die Skier an. Über den Gletscher und verschneite Berghänge geht es hinab bis zum Plan de Aigualluts (2019m), einer breiten Ebene durchzogen mit den Rinnsalen, die das Schmelzwasser bildet. Von hier sind es weniger als eine halbe Stunde zurück zum Auto.

Zu Zeiten der Franco-Diktatur geriet die Gegend rund um den Aneto auch in den Blick der Politik. Nicht nur weil das unwegsame Gelände Schmugglern und politischen Flüchtlingen als Route in und aus dem unfreien Spanien diente. Das Wasser des Aneto-Gletschers führte zu einem diplomatischen Konflikt. Der breite bach, der sich im Plan de Aigualluts bildet, stürzt wnig weiter am Fuße des Massivs in eine riesige Öffnung im kalkigen Untergund. Forau de Aiguallut, nennt sich dieses Loch mit 70 Metern Durchmesser und 40 Metern Tiefe. Franco plante es mit einer Sprengung zu zuschütten. Denn das Wasser das hier verschwindet, tritt nicht etwa weiter unten im Tal zu Tage, es fließt unter dem gesamten Massiv hindurch nach Norden, um den französischen Fluss Garonne zu speisen. Der spanische Diktator hätte das kostbare Nass gerne auf spanischen Feldern gesehen. Die Vermittlung des schwedischen Königs Gustav konnte das Schlimmste verhindern. Das Naturspektakel blieb erhalten./Fotos: Pablo Queraltó.

Nützliches

Das spanische Bergsteigerdorf Benasque bietet neben dem besten spanische Bergsportgeschäft auch Unterkünfte, Restaurants und zünftiges Nachtleben, für diejenigen, die früher anreisen oder länger bleiben wollen. Es lohnt sich allemal. Denn neben dem Aneto beginnen hier auch die Touren auf den Posets oder den Maladeta. Bergführerbüros bieten sowohl im Winter als auch im Sommer organisierte Touren und alpine Kurse an. Unweit von Benasque liegt die Skistation Cerler.

Es empfiehlt sich vor allem am Wochenende die Hütte La Renclusa rechtzeitig zu buchen. Wer kein Spanisch kann, braucht sich keine Sorgen machen. In den spanischen Pyrenäen verstehen die Hüttenwarte auch Französisch.

Was bisher geschah: