© 2008 Reiner Wandler

Leiden unter Besatzung und Exil

Der neueste Westsahara-Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) ist deutlich. „Marokko verstößt gegen die Meinungs-, Versammlungs- und Organisationfreiheit“ in der seit 1975 besetzten ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara. Das 216 Seiten starke Dokument mit dem Titel „Menschenrechte in der Westsahara und in den Flüchtlingscamps in Tindouf“ wurde vergangenen Freitag in der marokkanischen Hauptstadt Rabat vorgestellt. „Jegliche Opposition gegen die Kontrolle Marokkos über das umstrittene Gebiet wird als illegaler Angriff auf die ‚territoriale Integrität‘ Marokkos angesehen. Dies dient dazu, alle friedlichen Demonstrationen zu verbieten oder aufzulösen und den Menschenrechtsorganisationen einen legalen Status vorzuenthalten“, heißt es in der Erklärung mit der HRW den Bericht präsentierte.

Die Polizei misshandle Menschen, die für die Unabhängigkeit des Gebietes an der afrikanischen Nord-West-Küste eintreten. Anzeigen wegen Folter und Misshandlung würden nicht ordentlich untersucht und regelmäßig niedergeschlagen. „Dies erweckt den Eindruck völliger Straffreiheit der Polizei.“ Die marokkanische Justiz habe Menschenrechtsaktivisten unter „zweifelhafter Beweislage“ zu langen Haftstrafen verurteilt.

Erstmals untersuchte HRW auch die Lage in den Flüchtlingslagern nahe der südalgerischen Stadt Tindouf, in denen seit den 70er Jahren rund 200.000 Sahrauis leben. Die Befreiungsbewegung Polisario, die die Lager kontrolliert, „lässt Kritik der Flüchtlinge an der Verwaltung und an alltäglichen Problemen zu, aber drängt diejenigen an den Rand, die sich ihrer Führung widersetzen“. Die Bewohner der Camps können nach Angaben von HRW frei reisen, „selbst dann, wenn sie in die von Marokko besetzte Zone zurückkehren wollen“. Dennoch würden die Flüchtlinge unter der Isolierung eines seit mehr als 30 Jahren anhaltenden Exils leiden.

HRW hebt positiv hervor, dass ihre Delegation sowohl von den zuständigen Regierungsstellen in Marokko als auch von der Regierung der Polisario in Tindouf empfangen wurde und frei arbeiten durfte. Die Abgesandten interviewten auf beiden Seiten zahlreiche Sahrauis.

HRW spart nicht mit Kritik an den Vereinten Nationen, die seit 1991 einen Waffenstillstand zwischen Marokko und der Polisario überwachen. Die Friedensmission müsse auf die Einhaltung der Menschenrechte bestehen. „Praktisch alle Friedensmissionen der UNO überwachen die Menschenrechte. (…) Die Westsahara darf da keine Ausnahme sein.“

Von Marokko verlangt HRW die „Abschaffung der Gesetze über die territoriale Integrität“, die „Zulassung unabhängiger Menschenrechtsorganisation“ sowie eine „unabhängige Justiz. Die Polisario müsse ihrerseits „Alternativen zu ihren Plänen“ zulassen./ Karte: Wikimedia Commons


Meine Meinung

Opfer schwerwiegender Interessen


Der von der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vorgelegten Bericht zur Westsahara überrascht nicht weiter. Der Konflikt um die von Marokko besetzten, ehemalige spanische Kolonie hält seit über 30 Jahren an. Es ist damit nach Palästina und Israel eine der ältesten Auseinandersetzungen um ein Territorium. Rund 200.000 Flüchtlinge leben seit den 70er Jahren in Camps in einer unwirtlichen Landschaft. Und wer nicht geflohen ist, leidet unter Repression und Apartheid seitens der marokkanischen Besatzer.

Doch anders als Palästina ist die Westsahara nicht im Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit. Selbst die ehemalige spanische Kolonialmacht tut nichts, um den Konflikt zu lösen, den sie durch ihren Rückzug kurz vor dem Tod von Diktator Francisco Franco 1975 überhaupt erst verursacht hat. Seit 1991 die Befreiungsbewegung Polisario und Marokko einen Waffenstillstand geschlossen haben, überwacht die UNO einen Staus Quo und der zementiert die aussichtslose Lage für die Sahrauis. Das damals beschlossene Referendum über die Zukunft des Landstrichs im Nord-Westen Afrikas wurde bis heute von Marokko erfolgreich verschleppt. Frankreich und auch Spanien unterstützen das autoritäre Königreich. Schließlich ist es ein wichtiger Handelspartner aber auch ein wichtiger Kollaborateur wenn es um die Abwehr von Immigranten aus Afrika geht. Außerdem war Marokko von jeher ein strategischer Verbündeter für Europa und die Nato an der Einfahrt zum Mittelmeer.

Es sind schwerwiegende Interessen, denen das Schicksal von ein paar Hunderttausend Sahrauis geopfert wird. „Hätten wir ähnlich wie die PLO internationale Anschläge verübt, säßen wir schon längst an den wichtigen Verhandlungstischen dieser Welt“, erklärte mir gegenüber einmal ein verzweifelter Polisario-Funktionär in den Camps in Tindouf. Die Realität gibt ihm leider Tag für Tag erneut recht.

Was bisher geschah: