© 2007 Reiner Wandler

Alger: La Noire

Der Horror ist zurück in Algier. Wieder war es ein 11. des Monats, wie bereits im April diesen Jahres in der selben Stadt oder im März 2004 in Madrid. Gestern früh explodierten zwei Autobomben in Algeriens Hauptstadt. Der erste Sprengsatz wurde unweit des Obersten Gerichtshofes gezündet. Der zweite zerstörte die Büros des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR). Mindestens 67 Tote sind laut Krankenhausangaben zu verzeichnen. Die Zahl der Verletzten dürfte ebenfalls sehr hoch ausfallen. Unter ihnen sollen sich – so die Angaben der Krankenhäuser – mehrere Ausländer befinden.

„So etwas gab es in unserem Stadtteil noch nie“, berichtet M.B. aufgeregt am Telefon. Die gute Bekannte von mir, die ihren Namen nicht gedruckt sehen will, lebt mit ihrem Mann, einem mittelständischen Unternehmer, und den drei Söhnen in Hydra – einem Viertel, das Ministerien, Botschaften und Diplomatenresidenzen beherbergt, und deshalb bisher als sicher galt. „Die Explosion war nicht zu überhören“, berichtet M.B. mit nervöser Stimme, während sie vom Fenster aus eine schwarze Rauchwolke beobachtet. Der Anschlagsort vor dem Sitz des UNHCR ist kein Kilometer von der Wohnung der Familie B. entfernt. Der PKW soll von einem Selbstmordattentäter gesteuert worden sein.
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Doch die Sorgen begannen für M.B. bereits zuvor. Zehn Minuten vor dem Anschlag in Hydra explodierte in Ben Aknoun, einem Stadtteil hoch über der Bucht von Algier, eine erste Autobombe unweit des Obersten Gerichtshof und des Verfassungsrates des Landes. „Ich war völlig außer mir, als ich hörte, dass ein Schulbus dabei getroffen wurde“, berichtet M.B., deren beiden Ältesten in Ben Aknoun aufs Gymnasium gehen. „Sie haben sich gemeldet“, sagt M.B. erleichtert und bedankt sich für die telefonische Nachfrage.

Leider ging es nicht für alle so glimpflich aus.“Die Zahl der Toten ist sehr hoch“, berichtet Innenminister Zerhouni, als er sich von den Folgen der Attentate selbst ein Bild machte. Ein Teil des UN-Gebäudes ist eingestürzt. Ein Sprecher des UNHCR in Genf erklärte, dass „es im Innern Opfer gibt“. Mindestens zehn UN-Mitarbeiter seien ums Leben gekommen.

Auch vor dem Gerichtshof in Ben Aknoun herrschte bei Redaktionsschluss Unsicherheit, was die Zahl der Toten angeht. Die Rettungsdienste waren dabei die Leichen aus dem Wrack des vollbesetzten Schulbusses zu bergen. Keiner wusste gestern Nachmittag zu sagen, wie viele Jugendliche ums Leben kamen.

Auf einer islamistsische Web bekannten sich die radikalen Salafistischen Gruppen für Predigt und Kampf (GSPC) zu den Anschlägen. Diese operieren seit einem Jahr unter dem Namen Al Qaida im Islamischen Maghreb. Im April kamen 33 Menschen durch drei von Selbstmordattentätern in Algier zeitgleich gezündeten Autobomben ums Leben. Im September steuerten zwei Männer einen mit Sprengstoff beladenen LKW in eine Kaserne unweit der Hauptstadt. Mehr als 30 Tote Marinesoldaten waren dabei zu beklagen. Nur wenige Tage zuvor hatte ein Selbstmordattentäter im ost-algerischen Batna versucht Staatschef Abdelaziz Bouteflika mit in den Tod zu reißen. Er wurde von den Sicherheitskräften rechtzeitig gestellt.

Die zu al-Qaida Maghreb avancierten Salafisten sind die einzigen Untergrundkämpfer, die das Angebot zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach den blutigen 90er Jahren nicht angenommen haben. Sie wollen jetzt alle bewaffneten Islamisten in Nordafrika koordinieren.

Was bisher geschah: