© 2007 Reiner Wandler

Echt falsch

Spanien ist das Paradies für Schnäppchenjäger. Nein, nicht etwa weil die Preise in den Geschäften günstiger wären als in Deutschland. Die Spanier kaufen gerne Raubkopien. Egal ob CDs, DVDs oder Modeaccessoires, alles lässt sich bei Straßenhändlern finden. Spanien ist westeuropäischer Marktführer, wenn es um Produktpiraterie geht.
Top Manta – Deckenhitparade – nennt der Volksmund das illegale Geschäft mit der Musik: 25 Prozent aller in Spanien verkaufter Platten gehen nicht über den Ladentisch, sondern werden von einer auf der Straße ausgebreiteten Decke aus verkauft. Sie stammen aus den illegalen Kopierwerken asiatischer Mafiosi in irgendeiner Altbauwohnung. Für einen Euro pro Stück gehen die CDs meist an Immigranten. Diese verkaufen sie dann für 1,50 bis 2 Euro weiter, ständig auf der Hut vor der Polizei. In Madrid sind 40 Prozent der verkauften CDs Raubkopien, in Granada gar 50 Prozent. Das Geschäft lohnt sich. Die Raubbrenner kassieren pro Jahr gut 600 Millionen Euro.
Bei den DVDs sieht es nicht anders aus. Keine Kneipe, keine Fußgängerzone, durch die die Verkäufer von raubkopierten Kinohits nicht kommen. Anders als ihre Kollegen aus der Musikbranche sprechen sie ihre Kunden meist direkt an. Für 2,50 Euro gibt es selbst allerneueste Filme. Sie werden einfach im Kino von der Leinwand abgefilmt.
Geistiges Eigentum? Da lachen die Konsumenten. „Top Manta ist billig – legal kaufen teuer“, bekommt zu hören, wer die Rechte der Künstler verteidigt. Mit der illegalen CD oder DVD unterm Arm wird dann der nächste Longdrink geschlürft. Acht Euro, 10 Euro – hier wird nicht auf den Cent geschaut.
So mancher Konsument von Raubkopien fühlt sich gar als Gutmensch. „Die armen Immigranten müssen ja auch von was leben“, lautet ihr Argument. Dass mittlerweile im ganzen Land rund 100 Plattengeschäfte für immer geschlossen haben, große Plattenfirmen die Belegschaft reduzieren und so manche Band ganz aufgehört hat, Platten einzuspielen, wird dabei übersehen.
Doch nicht nur bei der Unterhaltung greifen immer mehr Spanier gern zur billigen Kopie. Auch Parfums und Modeaccessoires lassen sich auf vielbesuchten Plätzen und Straßen finden. Die Duftwässerchen in täuschend echter Markenverpackung finden vor allem vor Weihnachten großen Absatz. Zehn Euro kostet die Flasche. Meist kommt die Ware aus Marokko. Wer zum falschen Duft einen falschen Kaschmirschal einer bekannten britischen Marke will, findet ihn ein paar Meter weiter, täuschend echt, solange er keine Anfassprobe bestehen muss. Das Gleiche gilt für Handtaschen, Uhren und sonstige Statussymbole.
Wer glaubt, nur der Normalverbraucher kauft Kopiertes, irrt. In den noblen Villenvierteln vor den Toren Madrids halten Hausfrauen Treffen ab. Ähnlich wie bei Tupperpartys werden hierbei Kopien von Markenartikeln angeboten. Die Qualität der Fälschung ist natürlich besser als in der City – und etwas teurer. Sozialer Status verpflichtet selbst bei Piraterie. Aber die Ware ist immer noch ein Schnäppchen, verglichen mit dem Original.
Immer öfter können auch Ladenbesitzer der Versuchung der Raubkopien nicht widerstehen. Einer davon war ausgerechnet der Inhaber des Herrenbekleidungsgeschäfts, das die Zivilbeamten der Madrider Gemeindepolizei einkleidet. Seine Levis kamen aus Kopierwerkstätten in Fernost und lagen zum Originalpreis im Regal. Das Geschäft florierte. Doch was der schlaue Geschäftsmann nicht bedachte: Auch die Gemeindepolizei hat Spezialisten für den Kampf gegen Markenpiraterie. Einer von ihnen staunte nicht schlecht, als er eine Levis anprobierte. Der Betrug flog auf. Künftig wird die Polizei wohl anderswo einkaufen müssen.

Was bisher geschah: